Zwischen Verantwortung und Freiheit: Material, Prozess und Perspektiven

Auf den ersten Blick erinnern meine Arbeiten an eine umgekehrte Leinwand – ein Spiel mit der Hierarchie von Vorder- und Rückseite, von Fertigem und Unfertigem. Doch mein Interesse liegt weniger in der Entscheidung für eine Seite, sondern vielmehr in der bewussten Umkehr und Auflösung einer traditionellen Perspektive auf Malerei.

Textilien stehen im Zentrum meiner Arbeit – einerseits als klassische Materialien der Malerei, andererseits als persönliche Verbindung zu meiner Vergangenheit. Sie tragen Kontraste und Spannungen in sich, die ich durch Farbe, Schichtung und Manipulation sichtbar mache. Farbe dient dabei nicht nur der Oberfläche, sondern verändert die Stofflichkeit selbst, verleiht den Textilien eine neue Rolle und verschiebt ihre Wahrnehmung. Die Überlagerung verschiedener Materialien schafft eine narrative Struktur, die Beziehungen und Gegensätze offenlegt.

Meine Arbeitsweise ist geprägt von Prozessen, die ich aus meiner Vergangenheit kenne: Entladen, Umverpacken, Vermessen, Kontrollieren. Diese Tätigkeiten fließen nahtlos in die Malerei ein – ein bewusster Rückgriff auf Muster, die mir vertraut sind. Sie erlauben mir, durch Wiederholung und Routine eine Distanz zu schaffen, die es ermöglicht, mein Werk aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Diese Distanz, dieser Moment des Rückzugs von der Verantwortung, gibt mir die Freiheit, Urteile neu zu formen und Entscheidungen aus einem unvoreingenommenen Blickwinkel zu treffen.

Im Prozess selbst liegt für mich die Spannung zwischen Verantwortung und ihrem Entzug. Einerseits ist da die strukturierte Sammlung, Bearbeitung und Vorbereitung von Materialien. Andererseits der bewusste Bruch mit Ordnung, das Zulassen von Fehlern und Improvisationen. Die Grundierung oder Bemalung der Stoffe geschieht oft außerhalb eines Rahmens, fast beiläufig – wie beim Streichen eines Zauns oder dem Abwischen eines Pinsels. Diese intuitive Herangehensweise verschiebt die Bedeutung des Materials und öffnet Raum für das Unerwartete.

Die Textilien, Farben und Schichtungen selbst sind die Hauptakteure. Sie tragen die Narrative, sie fordern den Betrachter heraus, sich auf sie einzulassen und ihre Geschichten zu entschlüsseln. Die Malerei wird dabei zum Ziel und Ausgangspunkt zugleich – ein Ort, an dem Kontrolle und Loslassen miteinander ringen und ein Spannungsfeld schaffen, das sich auch auf den Betrachter überträgt.

Mein Arbeiten reflektiert den Wunsch, Verantwortung zeitweise zurückzugeben, um Freiheit zu finden – nicht im Sinn eines totalen Rückzugs, sondern als bewusster Moment der Selbstbefragung. Dieser Rückzug ermöglicht es, Strukturen neu zu denken, Gewohnheiten zu hinterfragen und die narrative Kraft des Materials ins Zentrum zu stellen.

So entstehen Bilder, die zur Reflexion über Ordnung, Chaos und die Frage anregen, wie wir unsere Konzepte begründen, unsere Autorität definieren und unsere Vorstellungen kritisch hinterfragen.